In diesem Fall hatte sich der Bundesgerichtshof mit der Frage zu beschäftigen, inwieweit einem Arzt, dem bei seiner Behandlung vorwerfbare Fehler unterlaufen sind, auch Gesundheitsschäden der Patientin zuzurechnen sind, die infolge eines neuen Eingriffs entstehen, der wiederum wegen des ersten Behandlungsfehlers notwendig war.
Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde. Bei der klagenden Patientin waren ein Darmpolyp und ein 5 cm großer Tumor festgestellt worden. Im Rahmen des operativen Eingriffs wurde fehlerhaft zwar der
Polyp abgetragen, nicht aber der Tumor entfernt. Als dies bei einer Kontrolluntersuchung
zutage getreten war, musste sich die Klägerin einem neuen Eingriff unterziehen, bei dem der vom Tumor betroffene Darmabschnitt entfernt und ein künstlicher Darmausgang gelegt wurde. In der Folge kam
es unter anderem zu einer Wundheilungsstörung im Bereich der Bauchdecke. Auch der weitere Heilungsverlauf war von zahlreichen Komplikationen geprägt.
Der verklagte Arzt war der Ansicht, es könne ihm nicht angelastet werden, dass es infolge der zweiten Operation zu derart vielen Problemen kam. Es fehle an dem erforderlichen Kausal- und
Zurechnungszusammenhang. Diesen hatte das vorinstanzliche Gericht jedoch bejaht. Zu Recht, wie der Bundesgerichtshof feststellt. Denn nach den Feststellungen des Berufungsgerichts wären diese
Folgeschäden in ihrer konkreten Ausprägung ohne den zweiten Eingriff nicht eingetreten. Damit seien die Folgeschäden adäquat kausal auf die Primärschädigung zurückzuführen. Das Argument des Arztes,
dass sich bei der Patientin lediglich Risiken verwirklicht hätten, die auch schon dem ersten Eingriff innewohnten und dass diese auch hätten auftreten können, wenn die erste Operation
fehlerfrei durchgeführt worden wäre, greift nach Ansicht des Bundesgerichtshofs nicht. Denn es handelt sich dabei um den Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens. Hier trifft den Arzt, nicht den
Patienten die Beweislast. Steht fest, dass ein Arzt dem Patienten durch fehlerhaftes und rechtswidriges Handeln einen Schaden zugefügt hat, so muss der Arzt beweisen, dass der Patient den gleichen
Schaden auch bei rechtmäßigem und fehlerfreiem ärztlichem Handeln erlitten hätte.
Das entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Anhaltspunkte dafür, dass es an einem erforderlichen inneren Zusammenhang zwischen dem ersten fehlerhaften Eingriff und den sich
beim zweiten Eingriff realisierten Risiken fehle, sieht der Bundesgerichtshof nicht. Gerade erst durch den Behandlungsfehler des beklagten Arztes wurde die Nachoperation der Patientin nötig. Die
eingetretenen Komplikationen und Gesundheitsschäden sind auf diesen zusätzlichen Eingriff
zurückzuführen, der der Klägerin ohne die Fehler des beklagten Arztes erspart geblieben wäre.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 22. 05.2012 - VI ZR 157/11
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